20 Jahre Klimaschutz im Ausland – eine Zwischenbilanz
Seit zwei Jahrzehnten setzt die Schweiz neben inländischen Klimaschutzprojekten gezielt auf Projekte im Ausland. Diese Aktivitäten sind im Kompensationsmechanismus des CO₂-Gesetzes verankert und werden über die Importeure fossiler Treibstoffe finanziert, die ihrerseits die Stiftung KliK mit der Umsetzung der geforderten Emissionsreduktionen beauftragt haben. Die Energy Talks @ Zimmerleuten nahmen diese Praxis zum Anlass, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Welche Wirkung haben die Projekte tatsächlich entfaltet? Wie fügen sie sich in die internationale Netto-Null-Perspektive ein? Und wie robust ist dieses Instrument mit Blick auf die Weiterentwicklung der Schweizer Klimagesetzgebung?
Mit Marco Berg (Geschäftsführer, Stiftung KliK), Prof. Axel Michaelowa (Universität Zürich / Perspectives) und Reto Burkard (Vizedirektor BAFU, Leiter Direktionsbereich Klima) kamen drei Akteure zu Wort, die aus unterschiedlichen Rollen auf dasselbe Feld blicken: Umsetzung, wissenschaftliche Analyse und Regulierung. Dass sich ihre Einschätzungen in den zentralen Fragen weitgehend deckten, war eine bemerkenswerte Erkenntnis dieses Abends.
Der regulatorische Rahmen: harter Cap und begrenzter Zeithorizont
Ein zentrales Thema war der regulatorische Rahmen bis 2030. Das geltende CO₂-Gesetz und seine Ausführungsbestimmungen legen fest, in welchem Umfang Emissionen aus fossilen Treibstoffen kompensiert werden müssen und wie stark dieser Anteil ansteigt. Zugleich ist damit aber ein klarer Endpunkt gesetzt: Der heute gültige Rahmen ist zeitlich bis 2030 begrenzt.
Für Klimaschutzprojekte, die lange Vorlaufzeiten und ebenso lange Amortisationsphasen aufweisen, ist dieser enge Horizont problematisch. Planungssicherheit, Investitionssicherheit und Finanzierungssicherheit sind nur dann gegeben, wenn die politischen Leitplanken über mehrere Jahre hinaus verlässlich sind. Genau diese Verlässlichkeit ist derzeit nur eingeschränkt vorhanden. Am Energy Talk wurde deutlich, dass aus Sicht von Umsetzung, Wissenschaft und Regulator ein längerfristig ausgerichteter Rahmen entscheidend ist, damit die Schweiz ihr Netto-Null-Ziel mit einem konsistenten Instrumentenmix verfolgen kann. Eine Klimapolitik, die alle paar Jahre grundlegend justiert werden muss, erschwert gerade jene Projekte, die besonders wirkungsvoll sind, aber einen langen Atem erfordern.
Gleiche Qualitätsstandards für In- und Ausland
Besondere Klarheit schuf Reto Burkard in einer Frage, die in der öffentlichen Debatte häufig mitschwingt: Sind Klimaschutzaktivitäten im Ausland eine Art „Zweitbestlösung“ gegenüber inländischen Massnahmen? Seine Antwort fiel eindeutig aus:
Für Projekte, die zur Erreichung der Schweizer Klimaziele beitragen – unabhängig davon, ob sie im Inland oder im Ausland umgesetzt werden, gelten die gleichen hohen Anforderungen.
Diese Gleichbehandlung betrifft unter anderem die Ausgestaltung der Projektbaselines, die Qualität des Monitorings, die institutionellen und Governance-Strukturen vor Ort sowie die Sicherstellung, dass Emissionsreduktionen nicht mehrfach angerechnet werden. Aus Sicht des Regulators hat die Schweiz bewusst eine anspruchsvolle Linie gewählt. In der Konsequenz bedeutet dies einen höheren Aufwand in der Projektentwicklung und -prüfung, gleichzeitig erhöht es die Glaubwürdigkeit der angerechneten Emissionsminderungen deutlich. Gerade im Kontext des Pariser Übereinkommens und der dort vorgesehenen Kooperationsmechanismen wird die Schweiz damit als Land wahrgenommen, das Qualität und Umweltintegrität klar priorisiert.
Zusätzlichkeit als Prüfstein für Umweltintegrität
Aus wissenschaftlicher Sicht rückte Axel Michaelowa die Frage der Zusätzlichkeit in den Mittelpunkt. Sie gilt als entscheidender Prüfstein dafür, ob Kompensationsprojekte wirklich einen Klimanutzen stiften, der über das hinausgeht, was ohnehin geschieht. Wenn Projekte gefördert werden, die auch ohne Unterstützung realisiert worden wären, kommt es zu Mitnahmeeffekten und die ökologische Wirkung des Instruments wird verwässert.
Die Diskussion zeigte, dass die Zusätzlichkeit einer Klimaschutztechnologie keine statische Angelegenheit ist. Eine Investitionsanalyse zu Beginn eines Projekts liefert zwar wichtige Hinweise darauf, ob Förderung erforderlich ist, um ein Vorhaben zu ermöglichen. Marktbedingungen, Technologiepreise oder regulatorische Rahmenbedingungen entwickeln sich jedoch weiter. Was heute ohne Förderung nicht realisierbar wäre, kann in einigen Jahren zum wirtschaftlichen Standard werden. Deshalb plädiert Axel Michaelowa für eine periodische Überprüfung der Zusätzlichkeit in sinnvollen Abständen. Nur so lasse sich verhindern, dass ein Projekt länger gefördert wird, als es aus klimaökonomischer Sicht notwendig ist.
Die konsequente Ausrichtung auf Zusätzlichkeit ist damit nicht nur eine technische Detailfrage, sondern ein zentrales Element der Glaubwürdigkeit des gesamten Kompensationssystems. Sie entscheidet darüber, ob jeder eingesetzte Franken tatsächlich in zusätzliche Emissionsreduktionen fliesst.
Glaubwürdigkeit von Auslandszertifikaten: hohe Standards, begrenztes Wissen
Ein weiterer Fokus des Abends lag auf der Glaubwürdigkeit von Auslandszertifikaten. Hier war die Übereinstimmung zwischen den Referenten besonders deutlich. Die Schweiz setzt im internationalen Vergleich sehr hohe Anforderungen an die Qualität der Zertifikate und der zugrunde liegenden Projekte. Das betrifft sowohl die methodische Ausgestaltung als auch Fragen der Governance, Transparenz und internationalen Anrechenbarkeit.
Gleichzeitig wurde offen angesprochen, dass das Wissen über diese Mechanismen ausserhalb der spezialisierten Fachkreise begrenzt ist – sowohl in Teilen der Politik als auch in der breiten Öffentlichkeit. Dort, wo die Funktionsweise von Auslandszertifikaten wenig bekannt ist, steigt das Risiko von Missverständnissen und pauschaler Kritik. Diese Kluft zwischen tatsächlicher Qualität und wahrgenommener Komplexität stellt eine kommunikative Herausforderung dar.
Die Diskussion am Energy Talk machte deutlich, dass die Schweiz nicht nur in die Qualität der Projekte investieren, sondern deren Vorhandensein auch erläutern muss. Transparente, verständliche Kommunikation über Kriterien, Prüfprozesse und internationale Einbettung ist eine Voraussetzung dafür, dass die hohe Glaubwürdigkeit, die fachlich erreicht wird, auch in der öffentlichen Wahrnehmung ankommt.
Einigkeit der Akteure als Standortvorteil
Eine der bemerkenswertesten Beobachtungen des Abends war, dass Umsetzung, Wissenschaft und Regulator in vielen Schlüsselthemen dieselbe Linie vertreten. Die Stiftung KliK als Umsetzerin des Kompensationsmechanismus, Axel Michaelowa als wissenschaftlicher Beobachter sowie das BAFU als zuständige Behörde betonten übereinstimmend die Bedeutung hoher Qualitätsstandards, konsequenter Zusätzlichkeit, glaubwürdiger Auslandszertifikate und eines langfristig verlässlichen Rahmens.
Diese Konstellation ist keineswegs selbstverständlich. In vielen Ländern bestehen zwischen diesen Akteursgruppen deutliche Spannungen, sei es bei der Interpretation internationaler Regeln, bei der Bewertung der Projektqualität oder bei der Einschätzung der Rolle von Marktinstrumenten in der Klimapolitik. Die weitgehende Einigkeit in der Schweiz ist damit mehr als eine Momentaufnahme. Sie ist ein Standortvorteil. Es erleichtert, marktbasierte Instrumente so zu gestalten, dass sie sowohl ökologisch wirksam als auch ökonomisch effizient sind und zugleich politisch tragfähig bleiben.
Bedeutung für die Revision des CO₂-Gesetzes
Mit Blick auf die anstehende Revision des CO₂-Gesetzes erhält der Abend im Zunfthaus zur Zimmerleuten eine zusätzliche Dimension. Die Energy Talks haben deutlich gemacht, dass Emissionsreduktionen im Ausland heute ein integraler Bestandteil der Schweizer Klimapolitik sind – und nicht ein Randthema. Die Schweiz verfügt über 20 Jahre Erfahrung mit Klimaschutzprojekten im Ausland, über etablierte institutionelle Strukturen und über einen regulatorischen Rahmen, der die Qualität der angerechneten Emissionsreduktionen hoch gewichtet. Zugleich wurde sichtbar, dass dieses Gefüge auf anspruchsvollen Qualitätskriterien und einem Zusammenspiel von Akteuren beruht, das in den zentralen Fragen bemerkenswert kohärent ist. Die zentrale Frage lautet nun, wie diese Grundlagen in die nächste Etappe der Klimapolitik überführt werden.
Soll die Schweiz ihren Netto-Null-Pfad glaubwürdig und effizient verfolgen, wird sie auf die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte nicht verzichten können. Es braucht eine Verlängerung und Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmens über 2030 hinaus, um langfristige Investitionen zu ermöglichen. Die bestehenden hohen Qualitätsstandards der Zertifikate sollten konsequent weitergeführt und, wo nötig, an neue internationale Entwicklungen angepasst werden. Gleichzeitig sollte die politische Debatte stärker auf der Basis der vorhandenen Erfahrungen und Daten geführt werden, damit bewährte Instrumente nicht aus Unsicherheit oder Wahrnehmungslücken heraus in Frage gestellt werden. Entscheidend ist, dass die Lehren aus zwei Jahrzehnten internationaler Projektarbeit in einen langfristig angelegten, verlässlichen und qualitativ hochstehenden Rahmen für die nächste Phase der Schweizer Klimapolitik übersetzt werden.
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